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Auf dem Weg zur grünen Wasserstoffgesellschaft

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Unser Fokus auf Wasserstoff und Frankreich wird durch ein aktuelles Positionspapier zum grünen Wasserstoff ergänzt. In seinem Gastkommentar berichtet der französische Politiker Michel Delpon – Frankreichs „Monsieur Hydrogène“ – über das große Zukunftspotenzial des emissionsfreien Energieträgers für Wirtschaft, Industrie und Landwirtschaft.

In den letzten fünf Jahren habe ich mein Mandat als Abgeordneter der Entwicklung von erneuerbarem Wasserstoff in Frankreich und Europa gewidmet. Heute hat sich der Wasserstoff weltweit in der Energielandschaft durchgesetzt, indem er einen wichtigen Platz in der Politik einnimmt. Weil er ein so wichtiger Baustein der internationalen Klimaambitionen der COP 26 ist, sollte jedes Land über das nötige Know-how verfügen. Allerdings fehlt es allzu oft an einer gesellschaftlichen, ökologischen und sozialen Dimension, um die Entwicklung dieses emissionsfreien Energieträgers entsprechend voranzutreiben. Der „CLUB VISION HYDROGENE“, den ich im März 2022 gegründet habe, ist eine neue Sammelstelle für Ideen und gleichzeitig ein guter Katalysator für Maßnahmen. Er hat die Aufgabe, Akteure auszubilden, Initiativen zu ermitteln und zu fördern, Lösungen zu finden, bewährte Verfahren und Erfahrungen auszutauschen und vor allem zur Verbreitung dieser grünen Energie beizutragen. Ziel ist dabei, möglichst vielen auch weniger gut gestellten Menschen Zugang zu einer reichlich vorhandenen, umweltfreundlichen Energie zu ermöglichen.

Wirtschaftlich und finanziell gesehen ist Energie ein Thema, das sehr stark auf volatilen Preisen beruht. Wir müssen uns daher in Richtung einer ökologischen Wende bewegen, die 100 % auf erneuerbarer Energie gründet. Vorerst wird die Energie vielleicht teurer sein, aber letztendlich wird sie den gleichen Preis haben: Sobald Wasserstoff so viel kostet wie fossiler Treibstoff – also circa 2 Euro pro Kilogramm –, befinden wir uns in einer Wasserstoffgesellschaft. Alle Länder werden dann auf der gleichen Ebene agieren, unabhängig von der Region bis hin zu den Staaten Afrikas, die dank der intensiven Sonneneinstrahlung dann endlich auch zum Zug kommen. Die Wasserstoffproduktion wird auch durch die Massenproduktion von Elektrolyseuren, Tanks, Brennstoffzellen und neuen Verwendungszwecken vorangetrieben. Das bedeutet für Frankreich bis 2030 zwischen 150.000 und 200.000 Arbeitsplätze in 25 Tätigkeitsbereichen und insgesamt etwa 100 Berufen. Denn im vorgelagerten Bereich wird dies den gesamten Sektor der erneuerbaren Energien beflügeln: Photovoltaik, Windkraft, Methanisierung, Wasserkraft und Geothermie, aber auch zwangsläufig anfallender sowie natürlicher Wasserstoff, ganz zu schweigen von der CO2-Abscheidung, die große Fortschritte macht.

Auf der nachgelagerten Seite (Verwendungsseite) wird es neben der Mobilität, also PKW-, LKW-, See- und Luftverkehr, einen gigantischen Markt für die Industrie geben, insbesondere für Stahl, Beton, Stickstoffdünger und das Baugewerbe mit wasserstoffbetriebenen Heizkesseln. Auch die Banker haben diesen Paradigmenwechsel allmählich verstanden und werden entsprechend agieren: Sie geben die fossilen Energien auf und orientieren sich zunehmend in Richtung einer grünen Finanzwirtschaft, indem sie Investoren auswählen, die keine Umweltverschmutzung verursachen. Die nationale Herausforderung besteht wie bei allen ineinandergreifenden Technologien darin, unsere Souveränität über die gesamte industrielle Wertschöpfungskette aufrechtzuerhalten. In Zukunft muss es daher in jedem europäischen Land gelingen, diese wirtschaftliche Souveränität anzustreben, indem es saubere Reindustrialisierungen, Standortrückverlagerungen und kurze Wege fördert. Im Jahr 2020 hat Frankreich aus Anlass der COVID-19 Krise ein Budget von 10 Milliarden Euro mobilisiert, um die Wasserstoffbranche zu fördern.

Vor dem Ukrainekrieg und den wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen gegen Russland wurde die europäische Klimapolitik mit dem Paket „Fit for 55“ gestärkt, um die Entwicklung der Wasserstofftechnologie ambitioniert voranzutreiben. Damals rechnete man aber nicht mit den großen geopolitischen Spannungen, die sich aufgrund unserer Abhängigkeit von importierten fossilen Gasressourcen nunmehr stark auf unsere Wirtschaft auswirken. Die Folgen sind enorm gestiegene Produktionskosten für grauen Wasserstoff, der aus russischem Gas hergestellt wird, was wiederum zu einer höheren Wettbewerbsfähigkeit des grünen Wasserstoffs führt.

Deshalb setze ich mich bei der französischen Regierung für die Verabschiedung eines Dekrets ein, das den direkten Anschluss von Elektrolyseuren ermöglicht, wodurch die Produktionskosten festgesetzt und die Wasserstoffproduktion vollständig von den Marktschwankungen für fossile Energieträger abgekoppelt werden können. Darüber hinaus wird sich der nächste Gesetzesentwurf zur ökologischen Wende ab 2023 mit dem Ausbau erneuerbarer Energien befassen, indem die Genehmigungen für den Ausbau von klimaneutralen Anlagen im ganzen Land erleichtert werden. Eine weitere Trumpfkarte Frankreichs ist das Programm „France 2030“, dessen Ziele der Präsident der Republik festgelegt hat und bei welchem Wasserstoff eine wichtige Rolle spielt. So ist Frankreich dasjenige Land, das am besten aufgestellt ist, um bis 2050 die Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Die europäischen Länder, die manchmal unterschiedliche Interessen haben, müssen unbedingt einen einheitlichen Fahrplan finden, um die Ziele der Pariser Abkommen einzuhalten.

Die Dürre und die Brände des Sommers 2022 sind jedenfalls eine ernste Warnung für die Zukunft unseres Planeten!